Eine Kerze für mein Kind

Liebes Rahel Team,

vielen Dank für Eure Internetseite. In der Fliege-Internetseite habe ich Eure Adresse entdeckt. Leider habe ich entsprechende Sendung nicht gesehen.

Eure Seite ist sehr gut. Es ist das erstemal, dass ich von Betroffenen Berichte höre. Auch eure Hintergrundinformationen sind sehr gut.

Da ich dieses Thema sehr lange verdrängt habe und auch nicht den Mut finden konnte anzurufen oder mich einer Selbshilfegruppe anzuschliesen bin ich sehr froh, dass man Euch schreiben kann. Ich habe mir eine Kerze angezündet und die Gedichte gelesen. Sie sind wunderschön geschrieben. Ich habe Gänsehaut bekommen.

Nun ja - ich muss wohl nicht erwähnen, dass auch ich betroffen bin und einen Schwangerschaftsabbruch hinter mir habe. Ich habe mich sehr lange in der Kunst des Verdrängens geübt und geglaubt, dass wenn ich so tu, als ob das alles nicht gewesen wäre, ich es auch irgentwie ungeschehen machen könnte. Meine Betonmauer wuchs und wuchs... Ich habe die Quittung bekommen und kämpfe nun mit den Folgen. Ich hab schon einige Phasen durchlebt und möchte sie nicht noch einmal durchleben.

Es fing mit Migräne an. Später hatte ich dann Verdauungsbeschwerden, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, unerklärbare Bauchschmerzen. Leider wurde ich von meiner Hausärztin auch nicht ernst genommen und mit der Antwort abgespeist, ich hätte keine organischen Defekte. Ich lag nur noch zu Hause rum und wurde von Durchfällen und Verstopfungen gequält, Entzündugen der Gebärmutter, der Blase...

Zu diesem Punkt war mir nicht klar, wo diese Schmerzen herkamen - der Abbruch war schon 2 Jahre her. Ich glaubte, irgendetwas muss doch nicht stimmen, nicht einmal meine Hausärztin, die ich mittlerweile gewechselt habe, glaubt mir. Und ich wurde fast verrückt.

Zum Glück traf ich einen sehr lieben Arzt (Homöopath) zu dem ich vertrauen fand. Er war der erste Mensch der mein Problem entdeckte, bevor ich selbst es überhaupt kannte. Er war auch der Erste mit dem ich endlich über das Geschehene reden konnte. Es ging mir organisch zwar nicht gleich besser aber zumindest hatte ich jemanden gefunden, der mich verstand und mir helfen wollte. Ich ging durch eine lange Therapie mit Gesprächen, Akkupunktur, homöopatische Kügelchen.....

Zum jetztigen Zeitpunkt habe ich mich, meine Gefühle - und das Geschehene, denke ich, wieder im Griff (meistens).

Seit 1 Jahr bin ich verheiratet (nicht mit dem Vater des abgetriebenen Kindes) und wir wünschen uns ein Kind. Leider bin ich bisher noch nicht wieder schwanger geworden. Ich bilde mir ein, dass das wohl die gerechte Strafe ist und es mir doch eigentlich ganz recht geschehen würde wenn ich kein Kind mehr bekommen könnte.

Aber ich wünsche es mir doch so sehr. Mein Mann weiß, dass ich schon einen Schwangerschaftsabbruch hinter mir habe. Er hat auch gesagt, er verstehe es, vielleicht wäre es zu diesem Zeitpunkt das beste gewesen und ich würde schon noch schwanger werden. Er ist sehr lieb, aber ich bin hin und hergerissen zwischen dem Gedanken, dass ich als Strafe kein Kind mehr bekommen werde und dem Wunsch nach einem Kind ...

An manchen Tagen denke ich es hat wohl alles seinen Sinn, dass es so gekommen ist und an anderen Tagen möchte ich einfach nur weinen... und frage mich wozu das alles gut sein soll.

Ich bin so dankbar Eure Adresse gefunden zu haben und nun zu wissen, dass es auch andere gibt, denen es so erging - ergeht wie mir. Das tut gut.

Schon oft habe ich mir gewünscht auf die Straße zu rennen und laut zu schreien, so seht her, so sieht jemand aus, der sein Kind abgetrieben / getötet hat. Und alle wären entsetzt, weil mir so was keiner zutrauen würde....

Aber ich schweige und nur die wenigsten wissen es. Ich empfinde es als Schande, wie konnte ich nur so unvorsichtig sein und so dumm zu denken mir wird das schon nicht passieren und nach dem Abbruch ist dann alles vergessen. Nichts ist vergessen und nach dem Abbruch fängt die Qual erst an....

Und keiner sieht Deine Tränen in der Nacht....

Manchmal denke ich darüber nach wie es jetzt wohl wäre, wenn mein Kind leben würde und wir jetzt eine kleine Familie wären. Und dann wende ich den Gedanken schnell wieder ab, weil es ja nicht so ist und wohl nicht hat sollen sein... dann schaltet wieder die Realität ein und sagt mir, wer weiß wofür es gut war.

Ist es Schicksal, dass ich meinen "Stern" nicht bekommen habe und vielleicht war es eine Prüfung für mich, die ich wie es aussieht nicht bestanden habe.

Es tut sehr gut sich all dies von der Seele zu schreiben - vielleicht hätte ich dies früher tun sollen, leider war ich in meinem Beratungsgespräch zu stur um auf einen Dialog einzugehen - ich war besessen von dem Gedanken mich nicht kleinkriegen zu lassen. Egal was die mir auch immer erzählen. Leider bekam ich - glaube ich - keinen Hinweis, dass ich mir vielleicht über das Danach, das schlechte Gewissen, die Traurigkeit und Schuldgefühle Gedanken machen sollte. Nun ja, die Mauer, die ich um mich gebaut habe, war wohl schon zu hoch.... Ich weiß nicht, was ich beweisen wollte.

Ich möchte niemandem Vorwürfe machen. Denn letztendlich war es meine Entscheidung und nicht die des Vaters des Kindes, meiner Eltern, des Arbeitsplatzes, der Gesellschaft, eines Beratungsgespräches. Sie alle haben mich geprägt und meine Entscheidung mit Sicherheit beeinflusst. Letztendlich tragen muss ich sie jedoch alleine...

Ich wünsche mir dass der Himmel uns vielleicht doch noch einen Stern schenkt.

Vielen Dank an Euch für das offene Ohr und ein großes Lob an Eure Arbeit